In einer fünftägigen Konferenz in Rumänien kamen junge Menschen mit und ohne Behinderung zusammen, um eine inklusivere Gesellschaft zu fordern. Bei ihrem Treffen in der wunderschönen Stadt Cluj-Napoca einigten sich die Delegationen aus Rumänien, Polen, Portugal, Nordmazedonien und Litauen auf Vorschläge für eine barrierefreie Umgebung für junge Menschen mit Sehbehinderung. Ihre Pläne wurden anschließend den Entscheidungsverantwortlichen der Gemeinde vorgestellt!
Einbindung von Jugendlichen in alle Aspekte des gemeinschaftlichen Lebens, auf lokaler, nationaler und - mit Hilfe dieses Projekts - auch auf europäischer Ebene. Unser Projekt zeigt, wie ein klarer Plan zum Aufbau von Beziehungen zwischen jungen Menschen und Entscheidungsträger/-innen einen echten Wandel fördern und konkrete Ergebnisse erzielen kann.
Der Projektkoordinator Gabriel Nagy hat uns die ganze Geschichte hinter dem strukturierten Dialog erzählt:
Aus welchem Grund hab ihr junge Menschen mit Sehbehinderung als eure Zielgruppe ausgewählt?
Seit der Gründung unserer NRO Babilon Travel ist es unser Anliegen, mehr Raum in der Gesellschaft für behinderte und benachteiligte Jugendliche zu schaffen. Da ich selbst sehbeeinträchtigt bin, liegt mir dieses Anliegen besonders am Herzen.
Wie wurde die Idee zum Projekt geboren?
Als wir mit unserer polnischen Partnerorganisation einen Nachfolgeplan für das frühere Projekt ‚Value the Difference‘ besprachen, begannen wir, über den Mangel an inklusiver Infrastruktur für Menschen mit Behinderung nachzudenken. Menschen mit Sehbehinderungen müssen sich im Alltag mit vielen Herausforderungen und Hindernissen auseinandersetzen. Wie kann man wissen, welcher Bus gerade an die Haltestelle gefahren kam? Leuchtet die Ampel grün? Oder rot? Diese Problemstellungen kreieren für junge Menschen mit Sehbehinderung klare Barrieren und wirken sich auch auf ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt aus. Um für Verbesserung zu sorgen, entwickelten wir eine Idee, um junge Menschen mit Sehbehinderung und Entscheidungsträger/-innen an einen Tisch zu bringen. Die Projektplanung begann 2016. Anfang 2017 stellten wir den Antrag auf finanzielle Unterstützung durch das Erasmus+ Programm zum strukturierten Dialog. Wir konnten das Hauptevent des Projekts noch im November 2017 in unserer Heimatstadt Cluj-Napoca in Rumänien veranstalten.
Was war der Zweck dieser Veranstaltung?
Die Veranstaltung bestand aus einem fünftägigen transnationalen Treffen von 32 Jugendlichen, die von unseren internationalen Partnerorganisationen ausgewählt worden waren. Jedes Land wurde durch eine Gruppe mit mindestens einem sehbeeinträchtigten jungen Menschen vertreten. Sie trafen fünf Entscheidungsträger/-innen, die dem Projekt fast eine Woche Zeit widmeten, um sich mit den Themen Barrierefreiheit und Mobilitätsmöglichkeiten für Menschen mit Sehbehinderungen auseinanderzusetzen. Die Jugendlichen sammelten wiederum Erfahrungen, wie man mit Behörden interagiert und in Kontakt tritt.
Wie gelang es euch, die Entscheidungsverantwortlichen mit ins Boot zu holen?
Zum Glück hatten alle unsere Partnerorganisationen Verbindungen zu Behörden, die für die Politik in den Bereichen Jugend, Inklusion und Behinderung zuständig sind. Zum Beispiel werden die Projekte von Babilon Travel seit 2014 von unserer Gemeinde finanziert, so dass wir eine gute Beziehung zu den politischen Entscheidungsverantwortlichen hier vor Ort entwickelt haben. Auch die Verantwortlichen aus anderen Ländern waren aufgeschlossen und dankbar für die Möglichkeit, ihre Perspektiven mit jungen Menschen aus ganz Europa auszutauschen.
Gab es andere Herausforderungen?
Nicht wirklich. Einige Teilnehmer/-innen hatten spezielle Bedürfnisse oder Ernährungswünsche, die sie uns vorher nicht mitgeteilt hatten. Das ließ sich aber alles leicht regeln.
Was waren die wichtigsten Punkte der einzelnen Projektphasen?
Wir erhielten die Rückmeldung, dass unser Projektantrag genehmigt worden war, ein paar Monate vor dem Hauptevent in Cluj-Napoca. Danach organisierten wir sofort ein Online-Vorbereitungstreffen mit unseren Partnern und einigten uns auf ein Auswahlverfahren für die Teilnehmer/-innen. Anschließend machten sich die Partnerorganisationen daran, die Projektinformationen zu verbreiten, um die besten Kandidat/-innen für die Reise nach Cluj-Napoca zu finden. Am Ende des Projekts teilten wir unsere Ergebnisse über die Webseiten der Partnerorganisationen, die sozialen Medien und die Europäische Projektergebnisplattform.
Wie habt ihr es geschafft, junge Menschen in den Prozess einzubinden?
In den ersten Tagen des Programms gingen die 32 Teilnehmer/-innen und 5 Entscheidungsträger/-innen auf Exkursion im Stadtzentrum von Cluj-Napoca. In Gruppen erkundeten sie, wie einfach es war, sich fortzubewegen. Dabei konzentrierte sich jede Gruppe auf einen anderen Aspekt, z. B. die Ausstattung von Restaurants, lokale Busverbindungen, Parks, andere öffentliche Einrichtungen usw. Danach präsentierte jede Gruppe ihre Ergebnisse. Da gab es schon einige bizarre Dinge: Eine Rollstuhlrampe war z. B. auf eine Treppe gebaut worden! Andere Beispiele fanden sich jedoch häufiger. Blindenhunde wurden z. B. nicht im öffentlichen Nahverkehr zugelassen. Auf der Basis dieser Ergebnisse schrieben die Teilnehmer/-innen 26 Anträge zur Verbesserung von Barrierefreiheit. Im zweiten Teil der Woche wurde dieses Dokument dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt offiziell überreicht. Während der fünftägigen Veranstaltung stellte jede nationale Gruppe auch die Situation ihrer eigenen Länder vor, um die Anträge aus dem Projekt zu nutzen, die Zugänglichkeit von öffentlichen Räumen in ihren eigenen Städten zu verbessern.
Welche Ideen waren besonders interessant?
In einem Antrag wurde vorgeschlagen, akustische Ampeln zu installieren und Straßenbelag mit mehr Struktur zu verwenden, die Menschen mit Sehbehinderungen dabei helfen, Kreuzungen zu erkennen. Ein anderer Antrag enthielt den Vorschlag, Rechnungen in Blindenschrift zu drucken. Unsere Teilnehmer/-innen schlug außerdem vor, den öffentlichen Nahverkehr zu modernisieren: Der Einsatz von Durchsagen an Bushaltestellen und die Entwicklung einer App sollte Menschen mit Sehbehinderungen über Busfahrzeiten informieren.
Gab es Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit unter den Jugendlichen?
Wir kennen die Arbeit mit gemischten Gruppen, in denen sehbeeinträchtigte, blinde Jugendliche und Jugendliche mit anderen Behinderungen zusammenkommen. Um Empathie zu fördern, bieten wir immer mindestens einen Workshop an, in dem Jugendliche ohne Behinderung die Lebenswelt von beeinträchtigten Menschen kennen lernen. Wir zeigen ihnen erstens, wie man blinde Menschen leitet, wie man die Umgebung beschreibt und Hindernisse umgeht. Zweitens findet Partnerarbeit statt. Dabei bekommt eine Person die Augen verbunden und die andere Person leitet. Danach tauschen sie. Zum Schluss kommen sehbeeinträchtigte und blinde Jugendliche dazu. Die Aufgaben bestehen nun daraus, dass die Teilnehmer/-innen mit verbundenen Augen und blinde Teilnehmer/-innen zusammenarbeiten, z. B. beim Essen oder Kochen. Das macht meistens viel Spaß und ist manchmal eine Katastrophe! Für Jugendliche ohne Behinderung kann das eine intensive und lehrreiche Erfahrung sein, aus der sie viel mitnehmen.
Wie seid ihr vorgegangen, um die besten Methoden für die Zusammenarbeit unter den Jugendlichen herauszuarbeiten?
Als wir anfingen, Bildungsprojekte zu entwickeln, kontaktierten wir die weiterführende Schule vor Ort und fragten, ob sehbeeinträchtigte Kinder teilnehmen wollten. Durch diese Zusammenarbeit wurden wir dazu angeregt, mit gemischten Gruppen zu arbeiten. Die Erfahrungen von Menschen mit Sehbehinderung erscheinen sehr unterschiedlich. Wenn sie aufeinandertreffen, erkennen die jungen Leute aber schnell, wie viel sie gemeinsam haben, und dass sie die gleichen Bedürfnisse, Erwartungen und Hoffnungen teilen, ganz unabhängig von Behinderungen.
Hat das Projekt die Einstellung von Entscheidungsverantwortlichen bezüglich Barrierefreiheit beeinflusst?
Ja, auf jeden Fall! Unsere Stadt hat uns z. B. im Jahr 2018 dabei unterstützt, die Mission dieser Europäischen Partnerschaft fortzuführen. Mit Hilfe dieser Finanzierung konnten die Vertreter/-innen unserer NRO eine Exkursion nach Warschau in Polen unternehmen. Wir lernten die neue Strategie zu mehr Barrierefreiheit in Warschau kennen und nahmen viele hilfreiche Ideen mit.
Was waren die wichtigsten Lernergebnisse für die Jugendlichen?
Die jungen Menschen mussten lernen, wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren und ihre Ideen auf eine ansprechende und konstruktive Weise vorbringen können. Durch die Gruppenarbeit erweiterten sie außerdem ihre Sprachkenntnisse, Kommunikations- und Teamfähigkeit. Die Jugendlichen hatten die Möglichkeit, ihre Anträge direkt zu präsentieren und die Entscheidungsträger/-innen in Stadträten und Regierungen zum Umdenken zu motivieren, damit sie Versäumnisse in ihrer Planung erkennen und von den neuen Ideen profitieren!
Projektergebnisse
Die Teilnehmer/-innen schrieben 26 Anträge für mehr Barrierefreiheit und ein Handbuch mit Best Practices für Interessierte aus ähnlichen Projekten.
Anträge
Die Ideen der jungen Menschen wurden dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Cluj-Napoca offiziell überreicht.
Best Practices
Diese praktischen Ratschläge bieten Inspiration und Anleitung für die Organisation eines Projekts zu sozialer Inklusion. Erfahre mehr dazu hier.
Über das Projekt
Supported by:
Erasmus+ / Jugendpartizipationsprojekte
EU Jugendprogramm Priorität:
Partizipation am demokratischen Leben
Topic:
Förderung Beteiligung für alle
Sichtbarkeit:
An der Hauptveranstaltung in Cluj-Napoca waren viele junge Menschen und Entscheidungsträger/-innen direkt beteiligt! Alle Partnerorganisationen berichten auf ihren Websites und in den sozialen Medien über die Aktivitäten und Projektergebnisse.
Beteiligte Organisationen:
ASOCIATIA BABILON TRAVEL (RO); MUNICIPUL CLUJ-NAPOCA (RO); Youth of Europe (PL); Polski Zwiazek Niewidomych (PL) , Unique projects (LT); AUTONOMIA E DESCOBERTA CRL (PT); Center for Youth Activism CYA KRIK (MK); Liga Apararii Drepturilor Omului Filiala Cluj (RO); DIRECTIA DE ASISTENTA SOCIALA SI MEDICALA (RO)