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Einbindung junger Menschen in die Politik: CareLeaving Dialog

Für Teenager, die eine stationäre Jugendhilfemaßnahme verlassen, kann der Übergang in die Außenwelt entmutigend sein. Um ihnen den Weg zu erleichtern, wurden in diesem Projekt Jugendliche und politische Entscheidungsträger/-innen an einen Tisch gebracht, um die Probleme, mit denen die jungen Menschen konfrontiert werden, anzugehen und neue Lösungen zu finden. Das Maß an Interesse, das in ganz Österreich hervorgerufen wurde, ist ein echter Erfolg!

Partizipation bedeutet nicht, Menschen ein Problem aufzuzwingen. Partizipation bedeutet vielmehr die Erkenntnis, dass eine Problemlösung zum eigenen Vorteil und zum Vorteil zukünftiger Generationen ist. Sobald Partizipation ein natürlicher Vorgang ist, hat sie große Macht. Die jungen Menschen in unserem Projekt waren in der Lage, ihre schlechten Erfahrungen umzuwandeln und positive Veränderungen zu bewirken.
CareLeavingDialog_Maximilian Ullrich_Project Coordinator, Board Member of FICE Austria, President of FICE Europe
Maximilian Ullrich Projektkoordinator

Projektkoordinator Maximilian Ullrich erzählt von dem wirkungsvollen Projekt:

Worauf bezieht sich der Projektname CareLeaving Dialog?

Durchschnittlich sind junge Menschen in Europa 25 oder 26 Jahre alt, wenn sie das Elternhaus verlassen. Jugendliche in stationären Jugendhilfemaßnahmen hingegen stehen mit 18 Jahren ziemlich allein da. Da die meisten von ihnen nicht auf Unterstützung zurückgreifen können, besteht ein wesentlich höheres Risiko, dass sie in die Obdachlosigkeit rutschen, finanzielle Probleme bekommen, drogensüchtig oder kleinkriminell werden. Ziel unseres Projekts ist es daher, den Übergang aus stationären Jugendhilfemaßnahmen zu verbessern und den Fokus dabei auf den Austausch von jungen Menschen und der Regierung zu legen.

Welche Organisationen habt ihr für diesen ambitionierten Plan ins Boot geholt?

FICE Austria (International Federation of Educative Communities) stellt die nationale Zweigstelle von FICE International dar. FICE International ist ein Netzwerk aus Organisationen und Trägern der Jugendhilfe aus mehr als 35 Nationen. Aus diesem Grund war es relativ einfach, Partnerschaften mit Verbänden wie dem Dachverband Österreichischer Jugendhilfeeinrichtungen (DÖJ) und der Bundes Jugend Vertretung (BJV) einzugehen. Da wir zuvor schon einige Europäisch geförderte Programme mit dem Fokus auf Care Leavern durchgeführt hatten, konnten wir auf diverse nützliche Kontakte und Kooperationspartnerschaften zurückgreifen.

Kannst du uns mehr zu diesen Partnern erzählen?

Mit SOS CVI führten wir ein Projekt mit dem Ziel durch, Betreuungsfachkräfte darin zu schulen, in der Arbeit mit jungen Care Leavern einen kinderrechte-basierten Ansatz anzuwenden und Unterstützungsnetzwerke für sie zu stärken. Die Volkshilfe, Diakonie, Caritas, die internationalen und die österreichischen SOS-Kinderdörfer schlossen sich unserer nationalen Interessenvertretung und der Plattform Jugendwohlfahrt 18+ an.

An wen richteten sich eure Projektaktivitäten?

Wir haben als erstes drei Workshops (mit jeweils 15-30 Teilnehmer/-innen) an drei unterschiedlichen Standorten organisiert, sodass Care Leaver aus ganz Österreich teilnehmen konnten. Manche Teilnehmer/-innen waren bereits aus den stationären Jugendhilfemaßnahmen ausgeschieden, während andere noch außerfamiliär untergebracht waren und von ihren Betreuer/-innen begleitet wurden.

Was geschah während der Workshops?

Jeder Workshop war für drei Tage angesetzt. Alle waren sehr einbeziehend und super interaktiv! Professionelle Moderator/-innen führten die Workshops durch und gaben die Ergebnisse an die jeweiligen Landesregierungen weiter. Jeder Workshop begann mit einer Einheit, in der das Eis gebrochen wurde. Danach wurden die persönlichen Erfahrungen der Teilnehmer/-innen und ihre Ideen zur Verbesserung des Systems gehört. Durch Diskussionsrunden und Gruppenarbeit halfen sie dabei, die größten Herausforderungen in jedem Bundesland herauszuarbeiten. Anschließend formulierten wir Verbesserungsvorschläge und organisierten Treffen für einen politischen Dialog, in dem Care Leaver, Fachkräfte und Kommunalpolitiker/-innen diese gemeinsam diskutieren konnten.

Wie ging es weiter?

Wir organisierten einen weiteren Workshop in Wien, um die Daten aus den Workshops und Treffen aller Bundesländer zusammenzubringen. Aus den so gewonnenen Informationen erarbeiteten unsere Projektteilnehmer/-innen neun allgemeine Richtlinien für ganz Österreich. Sie stellten eine Fotoausstellung zusammen, um ihre eigenen Ansichten zu visualisieren. Diese Ausstellung wurde bei der Abschlusskonferenz eröffnet.

Was war der Zweck dieser Abschlussveranstaltung?

Die große Abschlusskonferenz fand im Haus der Europäischen Union in Wien statt. Wir hatten Repräsentierende der Bundes-, Landesregierungen und aus Stadträten, Parlamentsabgeordnete, Interessenvertreter/-innen und Entscheidungsträger/-innen in den stationären Jugendhilfemaßnahmen in Österreich eingeladen. Nach der Vorstellung der neun Richtlinien und der Eröffnung der Ausstellung hielten wir einen Runden Tisch ab. Hier teilten die jungen Menschen ihre Bedenken und diskutierten mit den Entscheidungsträger/-innen mögliche Lösungsansätze.

Was waren ihre Anliegen?

Ein großer Diskussionspunkt war die Erweiterung des Anspruchs auf Unterbringung in einer stationären Jugendhilfemaßnahme und finanzielle Unterstützung bis zum 25. Lebensjahr. Zudem wurde die Frage aufgebracht, wie Care Leavern ein besserer Zugang zu Bildungs- und Karrierechancen ermöglicht werden könnte und wie sie während der Übergangsphase in die Unabhängigkeit Unterstützung bei der Wohnungssuche und alltäglichen Anforderungen wie Krankenversicherung und Stromkosten erhalten können.

From left: Veranstaltung: 1. April 2019,, Veranstaltung: 1. April 2019,

Wie habt ihr die Beteiligung in den Workshops und im Dialog mit den Politiker/-innen gefördert?

Die Moderator/-innen hatten eine Menge Ideen, wie sie unsere jungen Teilnehmer/-innen zum Reden motivieren konnten. Es war für die Teilnehmer/-innen häufig schwierig, die sehr persönlichen Geschichten aus der Zeit des Übergangs zu teilen, aber unsere Moderator/-innen und Betreuer/-innen haben sich sehr darum gekümmert, ihnen Sicherheit zu vermitteln. Da viele der Jugendlichen ähnliche Erfahrungen teilen, konnten sie sich gegenseitig unterstützen. Es war ein wichtiger Moment für sie, ihre Geschichten erzählen zu können – für manche war es das erste Mal in ihrem Leben – und ihre Perspektiven mit den Politiker/-innen zu teilen.

Was habt ihr aus dem Projekt gelernt?

Wir haben gelernt, dass der Erfolg des Übergangsprozesses aus der stationären Jugendhilfe wirklich vom freiwilligen Engagement von NROs und einzelnen Jugendhilfeträgern abhängt. Die jungen Menschen haben aber geschlussfolgert, dass es anders sein sollte: Die Regierung muss mehr tun. Wir haben auch festgestellt, dass der Übergang aus der stationären Jugendhilfe mehr Vorbereitung benötigt. Für die 150 Teilnehmer/-innen der Workshops stellte das Projekt eine Möglichkeit dar, ihre Fähigkeit vor Menschen zu sprechen zu entwickeln. Es hat ihnen Selbstvertrauen gegeben, ein Studium oder eine Ausbildung anzustreben. Wir hoffen, dass manche von ihnen Lust bekommen haben, politisch aktiv zu werden und ihre Erfahrungen dazu nutzen können, das Leben anderer Jugendlicher in der stationären Jugendhilfe zu verbessern.

Auf welche Ergebnisse seid ihr besonders stolz?

Nach dem CareLeaving Dialog gründeten einige der jungen Menschen, die im Projekt Teil der Expertengruppe waren, einen eigenen Verein, Care Leaver Österreich. Ich bin von ihrer Leistung absolut beeindruckt. Obwohl sie uns manchmal um Rat fragen, leiten sie den Verein eigenständig. Sie vertreten weiterhin ihre Interessen über die sozialen Medien und arbeiten an ihrer eigenen Webseite. Es freut mich, dass sich ihre Arbeit bezahlt macht: Sie werden zu Konferenzen und Medienevents eingeladen und werden in ganz Österreich immer bekannter.

Was war die größte Herausforderung im Projekt?

Viele der Jugendlichen befinden sich in einer Übergangszeit – sie werden mit der Schule fertig, fangen an zu arbeiten, ziehen um. Daher war es für sie schwierig, das ganze Projekt zu durchlaufen. Wir verdanken es unserem weiten Netzwerk an Interessenvertreter/-innen, dass wir trotzdem einige sehr engagierte junge Menschen für das ganze Projekt gewinnen konnten, die anschließend den Verein mitgründeten. Auf der Teamebene empfanden wir das Projekt als sehr fordernd. Zusammen mit zwei Kolleg/-innen wurde ich mit der Durchführung mehrerer parallellaufender Projekte beauftragt und wurde zeitgleich Projektkoordinator im CareLeaving Dialog, der zu der Zeit bereits drei Monate lief. Ich musste mich in alle Details des umfangreichen Antrags einarbeitet und hart arbeiten, um alle Fristen einzuhalten. Zum Glück gab es zu unserer Anleitung einen sehr gut geschriebenen Projektplan.

Hast du Ratschläge für andere, die ein Projekt ins Leben rufen möchten?

Dieses Projekt war mein erstes Projekt im Rahmen des Erasmus+ Programms und somit eine tolle Möglichkeit, mehr Einblicke zu erhalten. Ich habe gelernt, dass Erasmus+ Projekte sehr bürokratisch sind. Die klare Struktur zu haben ist aber sehr hilfreich. Ich würde außerdem raten, sich vorher über Kosten und Kofinanzierungsmöglichkeiten zu informieren. Einer der Hauptsponsoren verließ das Projekt mitten im Prozess. Das bedeutete eine Menge Zusatzarbeit und Druck für uns, da wir neben der Projektdurchführung auch noch Spendenorganisationen organisieren mussten.

Gibt es Nachträge zum Projekt?

Ja, viele! Der CareLeaving Dialog war offensichtlich ein fruchtbarer Boden, um Synergien zu schaffen. Ein besonders wichtigstes Ergebnis ist die Gründung des Vereins Care Leaver Österreich. Außerdem fassen die Entwicklung unserer Nachhaltigkeits-Roadmap und die Politikempfehlungen unsere Best Practices zusammen. Nach unserer Projektabschlusskonferenz am 1.4.2019 organisierten wir in Zusammenarbeit mit 19 Interessenvertreter/-innen die Leaving Care Konferenz am Internationalen Care Day (21.2.2020). Diese Veranstaltung findet mittlerweile jährlich statt und fördert die engere Kommunikation zwischen Jugendhilfeträger, Regierungsmitgliedern und jungen Menschen. Abschließend hat SOS CVI eine digitale Tauschplattform entwickelt. Hier können junge Menschen Hilfe von anderen Care Leavern, Betreuungsfachkräften und Menschen aus der Arbeitswelt Unterstützung erhalten, zum Beispiel durch Hilfe bei Bewerbungen und Bewerbungsgesprächen, Lebensläufen etc.. Diese Plattform, die weiterhin vom Verein Care Leaver Österreich unterhalten wird, verbindet junge Menschen, Betreuungsfachkräfte und Menschen aus der Arbeitswelt und ist ein weiteres großartiges Vermächtnis aus dem Projekt.

From left: Veranstaltung: 1. April 2019,, Veranstaltung: 1. April 2019,

Wow!

Nach Abschluss des Projekts wurde der Verein Care Leaver Österreich von ehemaligen Care Leavern gegründet, um anderen jungen Menschen in ähnlichen Situationen zu helfen und um sich um eine bessere Versorgung zu kümmern. Ein großartiges Beispiel für aktive Bürgerschaft!

Projektkoordinatorin

CareLeavingDialog_Maximilian Ullrich_Project Coordinator, Board Member of FICE Austria, President of FICE Europe
Maximilian Ullrich

Maximilian Ullrich hat an der Universität Wien Afrikawissenschaften studiert. Er ist Gründer und Geschäftsführer von Make Me Smile International, Vorstandsvorsitzender von Make Me Smile Kenia, Vorstandsmitglied von FICE Österreich und Präsident von FICE Europa. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Projektentwicklung, Koordinierung und Durchführung, Finanzmittelbeschaffung, Antragsstellung, Veröffentlichung, Überwachung und Evaluation. Sein Wissen bezüglich guter Praktiken zur Unterstützung von Care Leavern in ganz Europa ist immens. Er hat in letzter Zeit mehrere von der EU finanzierte Projekte zum Thema koordiniert.

Projektergebnisse

Die von den jungen Menschen verfassten Politikrichtlinien verschaffen einen klaren Überblick über ihre Verbesserungsideen.

Die neun Richtlinien:

Die Verlängerung der stationären Jugendhilfemaßnahmen und der finanziellen Unterstützung bis zum 25 Lebensjahr sowie die Schaffung einer besseren Bildungs- und Karriereförderung für Care Leaver sind nur einige Beispiele aus den Vorschlägen. In der Veröffentlichung der Richtlinien können alle Vorschläge nachgelesen werden.

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Über das Projekt

Supported by:

Erasmus+ / Jugendpartizipationsprojekte

EU Jugendprogramm Priorität:

Partizipation am demokratischen Leben

Topic:

Aktivismus und politische Mitbestimmung

Sichtbarkeit:

Neun Nationale Politikrichtlinien, verfasst von mehr als 150 jungen Menschen, wurden den Entscheidungsträger/-innen präsentiert. Das Dokument sowie weitere Ergebnisse wurden auf den Internetpräsenzen von FICE und den Partnerorganisationen präsentiert.

Beteiligte Länder

Autor

Photo of Lilla Gosi
Lilla Gősi

Lilla Gősi is a freelance journalist and trainer. She writes, draws and uses the combination of these two for telling stories and creating non formal educational activities. She graduated in Communication and Media and History of Art. She has been publishing since 2012 in the most popular Hungarian weekly magazine, Nők Lapja. She is an active blogger. She loves working with groups and asking questions. She comes from Hungary and lives in Italy since 2017. She participated in several European training, exchange and volunteering projects. The main issues she cares about: promoting sustainability, critical thinking, inclusion and art. In her free time, she enjoys art, culture and travelling related activities.